Hinterm Horizont geht’s weiter

Husum – „Hinterm Horizont geht’s weiter“ – für Hans Pahl-Christiansen ist das mehr als ein Songtext von Udo Lindenberg. Er leitet eine große Einrichtung für Menschen mit Behinderungen, die ihr Haupthaus in Husum in der Franziska-zu-Reventlow-Straße hat. Und er wollte unbedingt für diese Einrichtung einen Namen finden, der Perspektiven bietet für das, was Menschen mit ihrem Leben machen wollen. „Husumer Horizonte“ heißt sie heute. „Bis an die Grenze und darüber hinaus“, übersetzt Hans Pahl-Christiansen. Denn das ist es, was er für die Bewohner seiner Einrichtung möchte: Sie sollen Hoffnung haben und Mut, Selbstbewusstsein und Freiheit, so viel Freiheit wie irgend möglich. Dafür setzt er sich ein.

Sie sind immer die Schwächsten
„Inklusion bedeutet für mich: Grenzen wahrzunehmen, aber den Schritt drüber hinaus zu wagen“, sagt der Sozialpädagoge. In den Husumer Horizonten leben Menschen mit geistigen und körperlichen Beeinträchtigungen. Und so vielfältig wie die Einschränkungen sind, so vielfältig ist auch die Betreuung und Begleitung. Das Haupthaus zum Beispiel ist in Wohngruppen organisiert. Tagsüber gehen die Bewohner – wie jeder andere auch – zur Arbeit. Ihr Arbeitsplatz sind die Husumer Werkstätten. Wenn sie abends nach Hause kommen, können sie sich in ihre Zimmer zurückziehen oder sich im Wohnbereich treffen. Immer ist jemand da, der ihnen zuhört, der auch auf sie aufpasst, vermittelt, für sie sorgt oder auch mal besondere Unternehmungen organisiert. Denn sie sind ja vielfach Kindgebliebene, sie brauchen Liebe und Anerkennung, Beschäftigung und Förderung – sie sehnen sich nach dem Horizont hinter den Grenzen. „Sie sind immer die Schwächsten“, sagt Pahl-Christiansen nachdenklich. Der inklusive Ansatz, der eine gemeinsame Beschulung von Menschen mit und ohne zusätzlichen Assistenzbedarf vorsieht, tue nicht jedem gut. Bei den Husumer Horizonten erleben sie, dass auch sie etwas können und dass sie wertvoll sind, so wie sie sind.

Wohnschule mit Zertifikat
134 Menschen betreut die Einrichtung stationär, dazu kommen 16 ambulante Plätze in der Woldsenstraße und in Schwabstedt. Einige von ihnen haben es „geschafft“: Sie sind jetzt ihr eigener Herr, mit eigenem Geld, eigener Wohnung und eigenem Mietvertrag. Dafür haben sie die „Wohnschule“ der Einrichtung besucht, wo ihnen Grundlegendes für die Selbständigkeit vermittelt wurde. „Sie haben ein ordentliches Zertifikat bekommen, das war ein ganz feierlicher Anlass“, erzählt Hans Pahl-Christiansen und lächelt.

Zahlen zählen nicht allein
Der Erfolg der Arbeit, er bemisst sich nicht in Zahlen. Obwohl Hans Pahl-Christiansen gut wirtschaftet und die Zahlen stimmen: Immer bleibt die Einrichtung Teil des Kirchenkreises, niemals steht irgendein Profit im Hintergrund. Erfolg misst sich für den Leiter der Husumer Horizonte immer an den Menschen, für die er da ist: an der Zufriedenheit seiner Mitarbeitenden, am guten Arbeitsklima und natürlich vor allem an den Bewohnern. Sie sollen sich wohl fühlen, sie sollen den Horizont sehen und weiten können.

Hinterm Horizont geht’s weiter
„Wir sind für die Nächstenliebe zuständig“, sagt Pahl-Christiansen. Diakonie, der Dienst am Nächsten, ist eine der Säulen der Kirche. „Und wir sind gerne Kirche“, sagt er, der durchaus auch mal mit dem göttlichen Bodenpersonal gehadert hat. Und er erzählt von anrührenden Momente, wenn die Bewohner Gottesdienst feiern. „Nochmal“, rief einer, als das Vater-Unser gerade verklungen war. Ein anderer, ein Hüne von mehr als zwei Metern, stellte sich zum Segen hinter den diensttuenden Pastor und breitete seine riesigen Arme aus wie dieser. Er habe ausgesehen wie ein Albatros, sagt der 60-Jährige lächelnd. „Du, Herr Pastor“, so ein Dritter, der dazu beharrlich am weiten Ärmel des Talars zuppelte, bis er endlich Aufmerksamkeit und Gehör fand – die Unmittelbarkeit dieser Menschen ist größer, die Ehrlichkeit auch. Hier darf manches sein, was wir uns kaum mehr erlauben. Hinterm Horizont geht’s weiter – und manchmal sind sie es, die den unseren vergrößern.