Lieferkettengesetz: Gerechtigkeit bis ins kleinste Glied

Seit 2011 gibt es sie schon: die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte. Sie legen fest, dass Staaten zum Schutz der Menschenrechte verpflichtet sind, und sie nehmen Unternehmen in die Verantwortung, diese Rechte zu achten. Als dritte Säule dieser Prinzipien gilt, dass gerichtlich und außergerichtlich gegen nachgewiesen Verletzungen von Menschen- und Umweltsrechten vorgegangen werden kann. Fast zehn Jahre ist das jetzt hier. Was konnte in dieser Zeit erreicht werden? Zu wenig, findet Karsten Wolff, Ökumene-Referent des Kirchenkreises. Er ist Mitglied der schleswig-holsteinischen Steuerungsgruppe der bundesweiten Initiative Lieferkettengesetz. Im August bringt der Konvent Dienste und Werke einen Antrag in die Kirchenkreis-Synode ein, sie möge die Initiative unterstützen und das Gespräch mit politischen Entscheidungsträgern dazu suchen.

Aufrüttelnd: Der Brand der Textilfabrik in Karatschi

Ein Beispiel für Notwendigkeit eines solchen Gesetzes ist der Brand einer Textilfabrik im pakistanischen Karatschi im September 2012: 258 Menschen starben, weil Notausgänge und Fluchtwege versperrt waren. Zum Zeitpunkt des Brandes ließ fast ausschließlich das deutsche Textilunternehmen Kik in dieser Fabrik produzieren. Vier Angehörige klagten gegen die Firma vor einem deutschen Gericht – die Klage wurde im vergangenen Jahr abgewiesen.

Setzte die Bundesregierung anfangs noch auf Freiwilligkeit, wird inzwischen immer deutlicher, dass es damit nicht getan ist. Eine offizielle Anfrage an 4000 Unternehmen mit jeweils mehr als 500 Mitarbeitenden wurde nur von Wenigen beantwortet, und selbst von diesen Wenigen erfüllten weniger als 20 Prozent ihre menschenrechtliche Sorgfaltspflichten. Seitdem ist überdeutlich, dass es eines Gesetzes bedarf: Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) und Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) wollten bereits am 10. März einen Eckpunkteplan dafür vorlegen – aber dann kam die Corona-Krise.

Empfindliche Bußgelder müssen sein

Karsten Wolff und seine Mitstreiter beschäftigen sich intensiv mit den Möglichkeiten, den Nachfragen und den Bedenken. „Kleine Betriebe zum Beispiel wenden ein, dass sie das nicht leisten könnten“, sagt Karsten Wolff, „aber die sind gar nicht betroffen. Die großen Unternehmen sind herausgefordert.“ Dabei geht die Initiative weiter als die Bundesregierung: Bereits Firmen mit 250 statt der bisher angesetzten 500 Mitarbeitenden sollen in die Pflicht genommen werden. Bei strafrechtlicher Verfolgung stünde jeder Unternehmer mit einem Bein im Gefängnis, wenden Kritiker ein. „Darum geht es gar nicht“, so Wolff, „aber wir fordern empfindliche Bußgelder von bis zu zehn Prozent des Umsatzes sowie den Ausschluss von öffentlichen Fördermaßnahmen.“ Große Firmen wenden ein, dass Lieferketten oft nicht bis ins letzte Glied nachvollzieh- und überprüfbar seien, dass hohe Standards aufgrund der Situation mancher Lieferländer gar nicht durchsetzbar seien. „Aber es ist doch kein Problem, Qualitätsstandards aufzustellen und durchzusetzen“, sagt Karsten Wolff. Jede im globalen Süden produzierte Schraube werde bis ins kleinste Detail geprüft, wenn die Qualität nicht stimme, werden die Produkte nicht abgenommen. Es sei nicht einsehbar, warum das bei Menschenrechts- und Umweltstandards nicht funktionieren solle.

Nur ein Lieferkettengesetz kann Wettbewerbsnachteile verhindern

Karsten Wolff weiß, dass viele Firmen ein hohes Interesse an der Einhaltung von Menschenrechts- und Umweltstandards haben. Nur ein Lieferkettengesetz kann verhindern, dass diesen Firmen Wettbewerbsnachteile entstehen. Als Mitglied der Steuerungsgruppe führt er auch Gespräche mit Firmenvertretern. Gemeinsam wird überlegt, was gehen kann. „Wir möchten Unternehmen dafür gewinnen, sich zum Lieferkettengesetz zu äußern und es einzufordern“, sagt er. Ebenso wichtig sind die Gespräche mit den politischen Vertretern. Derzeit werden Lobbygespräche mit den Bundestagsabgeordneten geführt, um diese für das Thema zu sensibilisieren. Da Ende 2019 die Bundesparteitage von CDU und SPD sich für ein Lieferkettengesetz ausgesprochen haben, wird jetzt dafür plädiert, dass dies auch noch in dieser Legislaturperiode umgesetzt wird.

Rückenwind gab es zuletzt von der Nordkirche, welche die Forderungen der Initiative Lieferkettengesetz jetzt offiziell unterstützt. Landesbischöfin Kühnbaum-Schmidt hierzu: „Gerade während der Corona-Pandemie zeigt sich, wie existentiell und gravierend die Menschen am Anfang der Lieferkette von weltweiten wirtschaftlichen Krisen betroffen sind. Die bisherigen langjährigen Erfahrungen zeigen, dass freiwillige Unternehmensinitiativen allein nicht ausreichen, um Menschenrechte zu schützen und Umweltzerstörung zu beenden.“

Info: Die bundesweite „Initiative Lieferkettengesetz“ ist ein breites zivilgesellschaftliches Bündnis aus über 80 Menschenrechts-, Entwicklungs- und Umweltorganisationen, Gewerkschaften und kirchlichen Akteuren, das für eine Welt eintritt, in der Unternehmen Menschenrechte und die Umwelt entlang ihrer gesamten Lieferkette achten. Kirchliche Mitglieder (wie z.B. Brot für die Welt) sind wichtige Akteure in diesem Bündnis, das von der Bundesregierung fordert, einen gesetzlichen Rahmen für deutsche Unternehmen zu schaffen, damit diese auch bei ihren Auslandsgeschäften zur Einhaltung von Menschenrechten und Umweltstandards verpflichtet werden. Damit Unternehmen, die Menschenrichte und Umweltstandards berücksichtigen wollen, nicht in einen Wettbewerbsnachteil gelangen, braucht es einen gesetzlichen Rahmen.

Ein Lieferkettengesetz soll darüber hinaus Betroffenen die Möglichkeit geben, ein Unternehmen bei Verstößen zur Rechenschaft zu ziehen. In anderen europäischen Ländern wie den Niederlanden, Frankreich oder Großbritannien gibt es bereits Gesetze gegen Kinderarbeit, moderne Sklaverei und für die Achtung der Menschenrechte im Auslandsgeschäft. Die Entscheidung, ob die Bundesregierung ein Lieferkettengesetz einführt, steht laut Koalitionsvertrag für das Jahr 2020 auf der politischen Tagesordnung.

www.lieferkettengesetz.de